Enuresis – wenn Kinder noch einnässen

Erst im Laufe des Älterwerdens lernen Kinder die bewusste Kontrolle über ihre Blase. Dieser Prozess verläuft – wie jede andere kindliche Entwicklung auch – individuell. Vor allem in der Nacht ist Einnässen bis zu einem Alter von fünf Jahren noch absolut normal. Enuresis ist deshalb ein Erkrankungsbild, das ältere Kinder betrifft.

Familie am Tisch

Das Einnässen kann sich tagsüber (Enuresis diurna) bemerkbar machen, wesentlich häufiger handelt es sich aber um ein nächtliches Einnässen (Enuresis nocturna). Auch eine Kombination beider Formen ist möglich. Nässt das Kind am Tag ein, dann wird in der Medizin auch von einer kindlichen Harninkontinenz gesprochen.

Häufigkeit von Enuresis

Bei Enuresis handelt es sich um ein familiär gehäuft auftretendes Problem. Gab es also bei Eltern oder auch Geschwisterkindern in der Kleinkindphase Probleme mit dem Trockenwerden, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Enuresis erhöht.

Etwa zehn Prozent aller 7-Jährigen sind von nächtlichem Einnässen betroffen. Während die Geschlechterverteilung im Alter von fünf Jahren noch ausgewogen ist, sind im Alter von elf Jahren Jungen ungefähr doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Mädchen hingegen nässen tagsüber häufiger ein. Unter den Jugendlichen leiden noch etwa ein bis zwei Prozent unter einer Enuresis, wobei die primäre Enuresis mit 75 Prozent am häufigsten auftritt. Dabei liegt das nächtliche Einnässen bei etwa 80 Prozent.

Welche Ursachen hat Enuresis?

Einnässen kann viele verschiedene Ursachen haben. Bei manchen Kindern entwickelt sich die Blasenkontrolle einfach langsamer als bei anderen Kindern. In den wenigsten Fällen ist das Bettnässen von über 5-Jährigen ein Hinweis auf eine kranke Niere oder Blase.

Verlangsamte Entwicklung des Kindes

Die Enuresis ist oft bedingt durch eine natürliche Entwicklungsverzögerung. In der Medizin wird davon ausgegangen, dass die Ursache noch nicht vollständig ausgereifte Nervenbahnen sind. In Schlaflaboren zeigt sich, dass sich zwar die Blase füllt und auch die entsprechenden Muskeln aktiv sind, betroffene Kinder jedoch nicht von dem Reiz wach werden und sich die Blase dann unwillkürlich entleert. Die Aufwachschwelle ist in diesen Fällen oft sehr hoch, Kinder lassen sich schwieriger wecken. Deshalb gilt der ungewöhnlich tiefe Schlaf als eine der Ursachen für Enuresis, auch wenn die Gründe dafür bislang nicht bekannt sind. In den meisten Fällen reguliert sich jedoch dieser Prozess während der Entwicklung von allein.

Hormonstörung

Es kann bei Kindern auch eine Hormonstörung vorliegen. Bei dieser Hormonstörung wird das Antidiuretische Hormon (ADH) in der Nacht in zu geringer Menge produziert. Dieses Hormon ist für den Wasserhaushalt des Körpers zuständig und sorgt dafür, dass die Wasserausscheidung in der Nacht gehemmt wird. Ist die Hormonmenge zu gering, füllt sich die Blase auch in der Nacht überdurchschnittlich stark mit Urin. Ein Zusammentreffen von Aufwach- und Hormonstörung begünstigt dabei eine Enuresis.

Geringe Blasenkapazität und überaktive Blase

Typische Ursachen sind zudem eine zu geringe Blasenkapazität. Allerdings handelt es sich auch dabei um eine Entwicklungsverzögerung, welche sich im Laufe der Zeit wieder ausgleichen kann. Für die betroffenen Kinder ist es oft schwierig, rechtzeitig die Toilette zu erreichen, denn sie bemerken den Harndrang einfach zu spät. Auch in der Nacht wird eine geringe Kapazität der Blase zum Verhängnis und die Toilette wird nicht schnell genug erreicht. Eine überaktive Blase kann ebenfalls schnell zum Überlaufen führen. Der Reiz ist dauerhaft hoch und verhindert dadurch ein natürliches Gefühl für den Füllstand der Harnblase.

Falsches Trinkverhalten

Eine weitere Ursache – vor allem für nächtliches Einnässen – kann das Trinkverhalten sein. Kinder, die tagsüber beim Spielen das Trinken vergessen, trinken abends oft sehr viel. Die Blase ist deshalb in der Nacht voll und verstärkt alle anderen Ursachen zusätzlich. Es sollte darauf geachtet werden, dass das Kind über den Tag verteilt ausreichend trinkt!

Akute Erkrankungen und psychosoziale Ursachen

In der Regel sind oft akute organische Ursachen wie Infekte der Harnwege oder auch psychosoziale Ursachen (z. B. Geburt eines Geschwisterkindes, Trennung der Eltern, Todesfall in der Familie) für die Enuresis ausschlaggebend. Sehr sensible Kinder reagieren unter Umständen sogar auf einen Schulwechsel oder Umzug mit Einnässen. Auch ohne Veränderungen im Leben des Kindes können seelische Ursachen aber nicht ausgeschlossen werden. Für Eltern beginnt dann die Spurensuche, bei der in der Regel fachliche Unterstützung notwendig ist.

Andere Erkrankungen

Es können auch Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Epilepsie sowie neurologische Störungen ursächlich für eine Enuresis sein. Jedoch sind derartige Erkrankungen auch mit anderen Symptomen verbunden. Auch eine Verwachsung der Harnröhre, oder Fehlbildungen der Blase sollten bei starker Enuresis durch Untersuchungen ausgeschlossen werden.

Primäre und sekundäre Enuresis

Medizinisch kann die Enuresis in eine primäre und eine sekundäre Form unterteilt werden.

  • Von einer primären Enuresis spricht die Medizin, wenn ein Kind noch nie vollständig trocken war. Dabei können durchaus auch Intervalle von bis zu sechs Monaten auftreten, in denen kein nächtliches Einnässen aufgetreten ist.
  • Abzugrenzen davon ist die sekundäre Enuresis. Dabei kommt es nach einer vorausgegangenen Trockenphase von mindestens sechs Monaten zu einem erneuten Einnässen. Dieses tritt vor allem in der Nacht auf.

Symptome einer Enuresis

Die Symptome einer Enuresis fallen je nach Art, ob tags- oder nachts, unterschiedlich aus.

Symptome nächtliches Einnässen:

  • häufiges Einnässen mit grossen Mengen Urin
  • tiefer Schlaf und erschwertes Aufwecken bei einem ansonsten normalen Schlafverhalten
  • in seltenen Fällen Begleitsymptome eines psychischen Problems (meist bei sekundärer Enuresis)

Symptome einnässen am Tag:

  • häufiges Wasserlassen und ungewollter Harnabgang bei starkem Harndrang
  • Inkontinenz bei angespanntem Bauch (z. B. beim Niesen, Husten oder Lachen)
  • Beobachtung von so genannten Haltemanövern (z. B. Aneinanderpressen der Oberschenkel, Hockstellung, Hüpfen von einem auf das andere Bein)
  • stakkatoartiges Wasserlassen ohne vollständige Entleerung der Blase

Bei nächtlichem Einnässen ohne zusätzliche Symptome, die auf eine Störung der unteren Harnwege hinweisen, spricht die Medizin auch von monosymptomatischer Enuresis. Diese Form kann seit der Geburt bestehen (primäre Enuresis) oder erneut nach einer trockenen Zeit von mindestens sechs Monaten auftreten (sekundäre Enuresis).

Ein am Tag zu beobachtendes Einnässen kann oft auf eine gestörte Blasenfunktion zurückgeführt werden. Es wird dann von einer nicht-monosymptomatischen Enuresis gesprochen. Nässen Kinder nur tagsüber ein, geht dies in der Regel auch mit einer Funktionsstörung der Blase einher. In beiden Fällen wird von kindlicher Harninkontinenz gesprochen.

Anamnese beim Arzt

Die Anamnese ist der erste Schritt auf dem Weg zur Diagnose einer Enuresis. Der Arzt benötigt dazu Antworten zu verschiedenen Fragen.

Häufige Fragen an die Eltern:

  • Wie häufig tritt das Einnässen auf?
  • Konnten beim Wasserlassen bisher Besonderheiten beobachtet werden?
  • Gab es bei den Eltern oder auch bei älteren Geschwisterkindern bereits Probleme mit dem Trockenwerden?
  • Wie lief das bisherige Sauberkeitstraining ab?
  • Wird das Kind bereits in irgendeiner Form behandelt und wenn ja, wie?
  • Kommen familiäre oder kindliche Belastungen in Betracht und wenn ja, welche?
  • Liegen beim Kind körperliche und/oder psychische Begleitstörungen vor?

Körperliche und weitere Untersuchungen

Zur Sicherung der Diagnose und möglicher Ursachenfindung auf organischer Ebene werden zudem eine körperliche Untersuchung durchgeführt und eine Urinprobe genommen. Auch eine Ultraschalluntersuchung der Harnwege und der Nieren wird durchgeführt, um Fehlbildungen ausschliessen zu können. Je nach Ergebnis der ersten Untersuchungen können auch weitere Untersuchungen erfolgen, um Entzündungen frühzeitig zu erkennen und Folgeschäden der Nieren zu vermeiden. Als Ursache sollten zudem andere Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Epilepsie ausgeschlossen werden, ebenso sollte eine mögliche Medikamenteneinnahme überprüft werden.

Therapie einer Enuresis

In der Regel beginnt die Behandlung mit einer eingehenden Beratung der gesamten Familie. Sie soll über das Problem informieren und die Familie beruhigen und auch entlasten. Auch mögliche seelische Ursachen können hier oft schon herausgefiltert werden. Wichtig ist vor allem das Schaffen einer entspannten Situation, denn nur mit Ruhe lässt sich eine Enuresis in den Griff bekommen.

Eltern sollten nach Möglichkeit folgende Dinge beachten:

  • Auf unsinnige Behandlungsversuche wie Strafen oder Drohungen sollten Eltern verzichten. Auch die Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr oder das nächtliche Wecken des Kindes ist nicht zielführend.
  • Bereits beim Frühstück sollte für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr gesorgt werden.
  • Ein „Sonne-und-Wolken-Kalender“ kann hilfreich sein, um Lob zu verstärken und Fortschritte zu erkennen. Für trockene Nächte wird eine Sonne in den Kalender eingetragen.
  • Zur eigenen Entlastung können entsprechende Utensilien wie Schutzauflagen für das Bett gekauft werden.

Spontanheilung

Oft verschwindet eine Enuresis auch von allein. Bettnässen wird deshalb auch als „gutartige Störung“ angesehen. So sinkt die Zahl der betroffenen Kinder bereits nach dem fünften Lebensjahr um 15 Prozent.
In seltenen Fällen bleibt das Einnässen jedoch auch über die Kindheit und Jugend hinaus bestehen. Sind die Ursachen für die Enuresis bekannt, ist die Prognose oft recht gut. Nach dem fünften Lebensjahr sollten Eltern sich aber unbedingt ärztliche Hilfe suchen, denn das Einnässen kann auch zu Verhaltensproblemen beim Kind führen.

Verhaltenstherapie

Sind diese Massnahmen nicht ausreichend, kann auch eine Verhaltenstherapie (z. B. Klingelhose) hilfreich sein, welche das Kind beim Einnässen mit einem Signal weckt. Dadurch soll das Kind lernen, trocken durchzuschlafen oder bei gefüllter Blase aufzuwachen. Eine solche Massnahme ist aber nur dann sinnvoll, wenn auch die Eltern wach werden und mit dem Kind zur Toilette gehen können. Geeignet ist diese Massnahme vor allem für Kinder, die in der Nacht einnässen und noch nie über einen längeren Zeitraum trocken waren.

Medikamentöse Therapie

Greifen verhaltenstherapeutische Massnahmen nicht, liegen familiäre oder sonstige Belastungen oder auch körperliche beziehungsweise krankheitsbedingte Ursachen vor, kann auch eine medikamentöse Behandlung erfolgen. Zum Einsatz kommt dabei oft der Wirkstoff Desmopressin, welcher die antidiuretischen Eigenschaften des körpereigenen Hormons besitzt und die Blasenfüllung vermindert. Bei einem Rückgang des Bettnässens können die Medikamente nach zwölf Wochen zunächst abgesetzt werden. Allerdings sollte die Dosis langsam verringert werden, um Rückfälle zu vermeiden. Bei einer geringen Blasenkapazität kommen in der Regel Anticholinergika zum Einsatz, welche für eine Erhöhung der Blasenkapazität sorgen sollen.

Kann einer Enuresis vorgebeugt werden?

Einer Enuresis lässt sich nur bedingt vorbeugen. Dies ist auf die unterschiedlichen Ursachen zurückzuführen. So ist es zunächst bis zu einem bestimmten Alter absolut normal, wenn Kinder einnässen. Es ist bis zum sechsten Lebensjahr eigentlich nicht notwendig, etwas gegen das Einnässen zu tun.

Eine entscheidende vorbeugende Massnahme ist allerdings das Weglassen von Druck. Wird auf ein Kind Druck ausgeübt, weil es noch einnässt, wird dieses in der Regel noch verstärkt. Deshalb sollte auch ein zu frühes und zu strenges Sauberkeitstraining nach Möglichkeit vermieden werden.
Eltern dürfen davon ausgehen, dass Kinder nie absichtlich ins Bett oder in die Hose machen.

Vorbeugend sinnvoll ist aber die Unterbindung eines falschen Trinkverhaltens. Es ist wichtiger, wenn ein Kind über den Tag verteilt ausreichend trinkt und nicht erst am Abend. Auch Stress sollte dem Kind gerade während der Sauberkeitserziehung nicht gemacht werden, denn dies kann das Einnässen ebenfalls begünstigen.

Beispiel für einen Erfahrungsbericht mit Enuresis

Leon war ein ganz normales Kita-Kind wie alle anderen. Erst mit etwa 5 Jahren fiel auf, dass er der Einzige in seiner Gruppe war, der nachts noch eine Windel benötigte. Seine Eltern dachten sich zunächst nichts dabei, er war einfach etwas langsamer als die anderen. Tagsüber passierte es nur selten, dass mal etwas daneben ging. Dies kam aber auch bei den anderen Kindern in seiner Umgebung vor. Mit 6 Jahren und kurz vor der Einschulung wurde es Leons Eltern dann aber doch zu viel. Sie versuchten nun mit aller Macht, dass er nachts nicht mehr einnässte. Die Windeln wurden weggelassen und die Trinkmenge über den Tag hinweg kontrolliert. Leon wurde nachts geweckt und zur Toilette begleitet. Trotzdem gab es fast keinen Morgen, an dem er nicht im Nassen lag. Vollkommen ratlos gingen sie nun mit Leon zum Kinderarzt. Der verwies nach Schilderung der Probleme direkt an einen Kinderurologen. Hier wurde Leon nun ganz genau untersucht. Es stellte sich heraus, dass er eine Fehlbildung in der Harnröhre aufwies, die bis zu diesem Zeitpunkt keiner bemerkt hatte. Dies führte dazu, dass er die Blase nie richtig entleeren konnte und damit zu einer ständigen Überfüllung dieser. Gerade nachts, wenn es zu viel wurde, lief sie dann einfach über. Die Fehlbildung wurde zeitnah operativ behoben und Leons Eltern waren erleichtert, dass nun alles ganz normal werden würde. Leons Blase hatte sich allerdings durch seine Vorgeschichte bereits zu einem überaus starken und grossen Muskel entwickelt, der darauf trainiert war einzuhalten. Nun musste er erst lernen, seine Blase frühzeitig und vollständig zu entleeren. Er bekam ein Medikament, welches den Blasenmuskel entspannen sollte. Dies half ihm dabei, seine Harnblase vollständig zu entleeren. Damit wurde mit der Zeit die Blase kleiner und Leon hatte endlich die Möglichkeit, seinen Harndrang richtig wahrzunehmen. Nachts geht auch heute mit seinen 8 Jahren immer noch manchmal etwas daneben, aber mit waschbaren Betteinlagen kommt die Familie damit gut zurecht. Vor allem gibt es jetzt endlich keinen Druck mehr “trocken” zu werden und alle haben Geduld mit ihm.

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